Die Flexibilität und wir.

Flexibilität im Studium wird an der Medizinischen Universität Wien eher klein geschrieben. Ein Grund hierfür mag der enorme organisatorische Aufwand des Kleingruppensystems sein – wann ist welche Gruppe wo, wann wo welches Seminar und wer hält es ab? Ein solch aufwendiges System lässt sich nicht vom einen auf den anderen Tag ändern. Die Uni wehrt sich jedoch seit Jahren konsequent dagegen es auch nur ein wenig aufzuweichen und lässt selbst kleine Änderungen nicht zu, die uns Studierenden das Leben und Lernen allerdings erheblich erleichtern könnten. Doch warum pocht die UFMUW so sehr auf Flexibilität? Nun ja, wer sich mit seinen bzw. ihren Mitstudierenden unterhält wird schnell feststellen, dass ein Großteil davon geringfügig oder sogar teilzeitbeschäftigt ist. Laut der Studierendensozialerhebung des Instituts für höhere Studien im Auftrag des Wissenschaftsministeriums gehen über 60 % der Studierenden einer Erwerbstätigkeit neben ihrem Studium nach – im Durchschnitt 20 Stunden pro Woche. Auch Kolleg_innen mit Betreuungspflichten – mit zu pflegenden Angehörigen oder eigenen Kindern – gibt es mehr als man vielleicht schätzen würde. Ersterer Gruppe könnte man natürlich sagen: dafür gibts doch eh den freien Nachmittag und auch am Wochenende kann man arbeiten gehen. Aber ist das der Sinn des freien Nachmittags? Sollte der nicht eher zur Vor- und Nachbereitung genutzt werden können? Ist eine Erwerbstätigkeit immer nur am Wochenende bzw. nachmittags oder abends möglich? Und Freizeit ist halt auch etwas, das geradezu konzentrations- und gesundheitsfördernd ist. Schließlich ist unser sehr schulisch aufgebautes Studium enorm zeitintensiv – auch wenn die Zeit, die wir an der Universität verbringen müssen, nicht immer optimal genutzt wird.

Zwar ist der zeitliche Aufwand stark vom aktuellen Semester und Studienjahr abhängig (auch ein Punkt den wir kritisieren), aber nichtsdestoweniger haben wir mit einer 100%igen Anwesenheitspflicht keinen Spielraum um aufgrund von Erwerbstätigkeit oder Betreuungspflichten mal zu fehlen, wenn es notwendig ist. Die Forderung nach max. 80% Anwesenheitspflicht wird von der Universität oft mit der Befürchtung abgetan, dass Studierende welche z.B. mehrere Reanimations-Einheiten verpasst haben, im Notfall nicht angemessen reagieren können – ein extremes Beispiel, das sagen will: die Universität fürchtet, dass wir dann nicht mehr alle Studieninhalte verinnerlichen. Diese Art der Argumentation lässt aber aus, dass wir alle erwachsene, eigenverantwortliche Menschen sind und als solchen ist es uns einfach zuzutrauen eigenständige Entscheidungen zu treffen die in ihrer Konsequenz trotzdem mit den Studieninhalten vereinbar sind. Selbstverständlich muss die Reduzierung der Anwesenheitspflicht in gewissen Bereichen aber an Bedingungen geknüpft sein. Niemand sagt dass Studierende selbst entscheiden was sie können müssen und was nicht. Lehrveranstaltungen könnten etwa in sogenannte essentielle und nicht-essentielle LVen unterteilt werden und je nach Typ muss dann eine Ersatzleistung erbracht bzw. gemacht werden oder eben nicht.

Damit haben wir jetzt den Bogen zu den Ersatzleistungen gespannt. Im Laufe des Studiums schreibt jede_r von uns ein oder mehrer E-Mails an Blockkoordinator_innen, Vortragende oder Seminarleiter_innen. Die Antworten sind sich in den meisten Fällen gleich, ein Fehlen wird meist nur unter zwei Umständen akzeptiert: Todesfall in der Familie (Patezettel bitte mitschicken!) oder schwere Krankheit (Attest ist Voraussetzung!). Was aber ist mit all den anderen Gründen wegen welchen man ein Seminar eventuell mal versäumen muss:

  • Krankheitsfall in der Familie – manche Studierende haben Kinder und somit Betreuungspflichten die sich garantiert nicht immer brav an die Seminarzeiten halten, andere Studierende pflegen Angehörige
  • Arbeit – eine Kollegin wird krank und ein Einspringen wird vom Arbeitgeber verlangt, sonst ist man den Job los
  • Hochzeit des Bruders oder der Schwester – sinngemäßes Zitat eines Curriculumsverantwortlichen: “Dann soll der Bruder wann anders heiraten!”

So ein hin und her ist besonders frustrierend, wenn das Seminar oder Praktikum um das es geht im Endeffekt dann nichts anderes ist als eine 40-minütige frontale Vorlesung in kleinerer oder größerer Gruppe. Wenn einem allerdings eine Ersatzleitung zugesprochen wird, dann sieht die sogar beim gleichen Seminar oft ganz unterschiedlich aus: von “Kommen Sie einfach 30 Minuten auf der Station vorbei!” über “Ja, gehen Sie einfach in die andere Gruppe.” oder “Wir bieten einen gesammelten Ersatztermin an.” bis hin zu “Sie arbeiten bitte 10 A4 Seiten zum Thema schriftlich aus und schicken sie mir bis übermorgen.” ist alles drinnen. Über die Art der Ersatzleistung darf nämlich der/die Blockkoordinator_in entscheiden. Das wollen wir ändern – einheitliche, klare und vor allem vorhersehbare Ersatzleistungsprozedere müssen dringend flächendeckend eingeführt werden. Jetzt sind wir aber ein wenig vom eigentlichen Thema abgekommen.

Flexibilität ist nämlich nicht nur eine Diskussion der Anwesenheitszeiten, sondern auch eine der Inhalte. Forscher_innen sagen zurecht stolz, dass sich das humanmedizinische Wissen alle fünf Jahre quasi verdoppelt. Zu viel dieses Detailwissens fließt in unser Studium ein und nimmt sowohl anderen Inhalten als auch der Schwerpunktsetzung den Raum. Zusätzlich kommt es immer wieder zu sich stark überschneidenden Inhalten, z.B. in den Blöcken und dazugehörigen Tertialen. Würde man diese Inhalte angleichen und eine tatsächliche Lernspirale einführen, wären zwei Fliegen mit einer Klatsche erledigt: wir hätten mehr Zeit für selbst gewählte Inhalte und würden das notwendige Basiswissen besser behalten.

Konkreter ausformuliert: würde man die Blöcke des dritten und vierten Jahres mit den jeweilige Tertialen des fünften Jahres zusammen legen, hätten die Studierenden nicht nur früheren und kontinuierlichen Patient_innenkontakt, sondern es würden auch mehrere Wochen (und ECTS) im Studienplan frei werden. Diese könnte man je nach Studienjahr für verschieden Arten der Schwerpunktsetzung nutzen: klinische Fächer im einen Jahr, im anderen vielleicht aber auch eine Auswahl an Modulen die etwas über den Tellerrand blicken – wie etwa Medizingeschichte, Gesundheitsökonomie, Medizin in den Medien, Gesundheitspolitik und Public Health, Medizin in Entwicklungsländern, um nur einige Ideen zu nennen. Was konkret für die Studierenden an Modulen interessant wäre, könnte die Universität auch mittels Umfrage erheben. Im Zuge solcher Module würde es sich auch anbieten Gastdozent_innen unterrichten zu lassen, die nicht nur neue Inhalte sondern auch neue Lehrkonzepte an die Universität bringen könnten. Noch mehr Flexibilität ginge aber auch im Bereich der freien Wahlfächer (das sind die 15 Semesterwochenstunden, von denen 10 medizinrelevant sein müssen). Wir sollten uns hier mehr von anderen Universitäten und Studienrichtungen holen dürfen um unseren Horizont zu erweitern oder uns sprachlich auf einen Auslandsaufenthalt vorzubereiten.

All diese Ideen tragen wir seit Jahren regelmäßig in die Curriculumkommissionen, die Blockplanungsteams, in persönliche Gespräche mit Professor_innen und überall hin wo wir was vorbringen können. Langsam tut sich was. Einzelne Professor_innen diskutieren sehr offen mit uns darüber, denken nach wie man das eine oder andere umsetzen könnte. Sie konnten wir bereits für unsere Ideen gewinnen. Andere denken noch viel weiter und freuen sich über die Unterstützung der UFMUW bei diesen Reformvorschlägen. Grundsätzlich aber ist die Universität in Sachen Studienplanänderung recht eingemauert. Geld, Ressourcen und organisatorische Umsetzbarkeit sind Argumente die nur schwer weg zu diskutieren sind, vor allem bei der derzeitigen Budgetlage und der Tatsache, dass die letzte große Studienplanänderung (die Einführung des KPJs) noch nicht allzu lange zurück liegt. Wir sind trotzdem der Meinung, dass es Möglichkeiten geben muss den Studienplan regelmäßig und vor allem niederschwellig an die neuesten Ergebnisse der Evidence Based Medical Education anzupassen. Nur so kann Fortschritt passieren.

Letztlich ist Flexibilität wohl eine Geisteshaltung. Wer etwas ändern will, findet einen Weg. Wer etwas verhindern will, findet Gründe. Es ist eine Frage der handelnden Einzelpersonen und Entscheidungsträger_innen.

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