Prüfungen sind dazu da, erlerntes Wissen zu überprüfen. Auch Fähigkeiten, sogenannte Skills, werden mittels Prüfungen erhoben. Die Fragestellung ist stets: Was müssen die Studierenden unbedingt können, um diese Lehrveranstaltung positiv abzuschließen? Und: Wie überprüfe ich das notwendige Wissen bzw. die notwendigen Skills am besten? In Summe müssen die Ergebnisse all dieser Prüfungen letztlich folgende Frage beantworten können: Was muss ein Mensch können und wissen um das Studium der Humanmedizin positiv abzuschließen?
Zu all diesen Fragen gibt es eine lange Geschichte – schließlich ist das Medizinstudium eines der ältesten der Welt. Vor allem gibt es aber viele Meinungen, denn Ärzte und Ärztinnen denken im Allgemeinen über medizinische Lehre Bescheid zu wissen. Nun ist es eine Sache, Fachwissen persönlich an jüngere Kolleg_innen weiter zu geben und eine andere aus Maturant_innen im Rahmen eines Studiums Ärztinnen und Ärzte zu machen. Für letzteres gibt es eine eigene Wissenschaft: Evidence based medical Education (EBME). Und eigentlich sollten unsere Lehrenden in diesem Bereich ausgebildet sein bzw. sich regelmäßig fortbilden.
Die EBME gibt unter anderem folgende Kernthesen vor, die laufend verfeinert werden:
I. Fakten, Kombiniertes Wissen, Fähigkeiten und Prozeduren gehören getrennt geprüft.
Beispiel: Für reine Fakten (z.B.: Welcher Muskel hebt den Fuß?) sind schriftliche Multiple Choice Fragen grundsätzlich geeignet, für Prozeduren (z.B.: Wählen Sie aus den Antworten den korrekten Ablauf der Händedesinfektion aus.) sind diese jedoch völlig ungeeignet. Es gilt für den jeweiligen Inhalt die beste Prüfungsmethode zu wählen. Hierbei wäre es auch manchmal notwendig uns vor die Herausforderung aktiver Reproduktion von Wissen zu stellen, so wie das z.B. in den eher als unangenehm empfundenen Pharmaseminaren passiert. Ob mündliche Prüfung, geleitete Diskussionsrunde, Fallpräsentation, Journal Club, Seminararbeit oder strukturierte Beobachtung von klinischer Tätigkeit – gerade im Zuge des Kleingruppenunterrichts (dem echten, wo wirklich nur 10 Leute anwesend sind…) könnten all diese Methoden einen Platz haben um uns nicht nur (kosten)effizient sondern auch qualitativ hochwertig auszubilden.
II. Viele kleine Prüfungen führen eher dazu, dass Studierende den Lernstoff auch wirklich behalten, als wenige größere.
Beispiel: Die SIP1 hat in Bezug auf das Behalten des Stoffes eher schlecht abgeschnitten. Wir hoffen, dass dies nun bei der SIP1a und SIP1b besser ist. Langfristig aber wären nicht nur inhaltlich, sondern auch terminlich Block-orientierte Prüfungen wesentlich optimaler. Wer z. B. die SIP3 schon geschrieben hat weiß, wie unrealistisch es ist, sich Basis- und Detailwissen aus sechs Blöcken anzueignen – ohne Altfragen wären SIPs kaum zu schaffen. Gegen das Altfragen lernen per se wäre ja nichts auszusetzen, würden diese sinnvoll den zu lernenden Stoff abdecken und in kleineren Happen überprüft werden. Außerdem wäre es zusätzlich äußerst sinnvoll die gestellten Fragen miteinander zu verknüpfen bzw. sogenannte key feature questions zu stellen. Letztere ermöglichen es, ausgehend von einer spezifischen klinischen Situation mehrere Fragen zu einem Thema zu stellen.
III. Bedside-teaching mit echten Patient_innen sollte so früh als möglich beginnen.
Beispiel: Derzeit haben wir den ersten längeren Patient_innenkontakt nach dem zweiten Studienjahr im Rahmen der ersten Famulatur (so eine solche zu diesem Zeitpunkt gemacht wird). Dieser Kontakt ist aber aus dem eigentlichen Studium ausgelagert und hat oft nur wenig mit bedside-teaching zu tun. Das Erleben der Geschichte eines Patienten bzw. einer Patientin hilft allerdings den erlernten Stoff besser behalten und vor allem besser verknüpfen zu können. Eigentlich sollten wir von Beginn an regelmäßig vor dem Krankenbett stehen und dort den Anatomie- und Physiologie-Stoff aus der Vorlesung vertiefend erörtern.
Wir sind derzeit an einem Punkt an dem es im Studium der Humanmedizin eine überschaubare Anzahl an Prüfungsarten gibt: reine Überprüfung von Fakten durch SIP 1a, 1b, 2, 3, 4a sowie 5a, garniert mit einem aus der Charité in Berlin zugekauften Progress Test Medizin in den Jahren 2, 3 und 5 bei dem die Anwesenheit für das Bestehen des Tests reicht. Bei den die Lehrveranstaltungen abschließenden Überprüfungen von SSM1 und 2 wird ebenfalls nur Faktenwissen abgecheckt. Jene Prüfungen, welche Abläufe sowie klinische oder simulierte klinische Skills überprüfen sollen, sind das Famulaturpropädeutikum, die OSCE-Überprüfungen sowie die mini-CEX und DOPS im Rahmen des dritten Studienabschnitts. Oftmals rein formalen Charakter haben die Diplomprüfungen, die das Gesamtwerk der Diplomarbeit abschließend bestimmen. Neben den SIPs ist das zweite leidige große Thema an unserer Universität der Begriff “Lehrveranstaltung mit immanentem Prüfungscharakter”. Sie ist Freund und Feind der Studierenden. Der große Vorteil ist die absolute Freiheit und Flexibilität die sie den Lehrenden einräumt. Sie können nach Gutdünken Prüfungsmethoden so einsetzen, wie sie sie für die Lehrmethode am angemessensten ansehen. Der große Nachteil ist aber ebenfalls die absolute Freiheit und Flexibilität die sie den Lehrenden einräumt. Sie können ohne Absprache mit den Studierenden Überprüfungen willkürlich gestalten und sind nicht so klar an die gesetzlichen Regelungen der “echten Prüfungen” (wie z.B. den SIPs) gebunden. Das bedeutet, sie müssen z. B. keine drei Wiederholungstermine pro Semester anbieten und keine Prüfungseinsicht (bei schriftlichen Überprüfungen) gewähren.
Es war ein sehr mühsamer Akt die Universität von der Sinnhaftigkeit einer Teilung der SIP1 zu überzeugen. Anderthalb Jahre haben wir diskutiert und lobbyiert – größtes Gegenargument der Universität waren die benötigten Ressourcen. In einem Moment der unglaublichen Erleuchtung haben wir dann aber gesehen, dass es ja eigentlich schon eine SIP1a gab – nämlich die FIP im ersten Jahr. Sie wurde nur nie als Prüfung gewertet. Wo sollten sich da Mehrkosten für die Universität verstecken? Ist ja alles da: Papier, Aufpasser_innen, Hörsäle, Wiederholungstermine. Dagegen war dann nicht mehr wirklich was zu sagen, die SIP1 war geteilt. Uns wurde aber klar gesagt, dass weitere Teilungen wohl erst nach ausführlicher Evaluierung dieser ersten Teilung möglich sein würden. Viele Änderungen die sich langfristig positiv auf das Medizinstudium in Wien ausgewirkt haben, sind von anderen medizinischen Universitäten oder Fakultäten im In- und Ausland entwickelt und dann hierorts übernommen worden. Prägnantes Beispiel ist hier der OSCE. Die selbstständige Entwicklung von Prüfungs- und Lehrmethoden ist eine sehr mühsame und aufwendige Aufgabe, die in Wien noch nicht ausreichend durchgeführt wird. Eine Ausnahme ist das KPJ, welches zwar in seiner Urform in Deutschland schon lange betrieben wird, hierorts allerdings stark ausgebaut und weiterentwickelt wurde – wobei hier unserer Meinung nach etwas über das Ziel hinaus geschossen wurde. Verbesserungsvorschläge von Seiten der Studierenden werden allerdings nicht mehr schnell abgetan, wir haben uns Gehör verschafft. Dies wollen wir für eine evidenzbasierte Weiterentwicklung des Medizinstudiums an unserer Universität nutzen.
Schritt für Schritt wollen wir eine komplette Aufdröselung der Gesamtprüfungen. Kleine, an die Blöcke gebundene Blockprüfungen könnten den Anfang machen. Diese sollen im Idealfall innerhalb einer bestimmten Zeit (z.B. innerhalb von zwei Wochen nach dem Block) terminlich frei wählbar auf den PCs universitärer Standorte absolvierbar sein – wer viel auf einmal lernen möchte, kann bis zu drei Blöcke an einem Termin absolvieren. Wer seinen Stoff gerne in kleinen Happen genießt, macht alle 5-7 Wochen eine Blockprüfung. SSM1 und 2 sind Beispiele dafür wie es funktionieren kann.
Bezüglich der Lehrveranstaltungen mit immanentem Prüfungscharakter wollen wir den Lehrenden ihre Freiheiten nicht nehmen aber den Schutz der Studierenden stärken. Es soll die genau Prüfungsmethode der jeweiligen Lehrveranstaltung vor Beginn angeführt werden und der Lehrplan (“Was muss ich wann wie tun um die Lehrveranstaltung zu bestehen?”) spätestens zu Semesterbeginn fest stehen. Des weiteren sollten – wie im Universitätsgesetz vorgeschrieben – pro Semester drei Prüfungstermine angeboten werden und das pro Lehrveranstaltung mit immanentem Prüfungscharakter – diese Termine können natürlich auch mehrere LVen gleichzeitig abdecken.
Die Diplomprüfung an sich sehen wir als gute Übung für das spätere Berufsleben – das eigene Werk und die eigene Leistung vor fremden Menschen gezielt verteidigen zu können ist eine wichtige Fähigkeit. Alte Prüfungsmodelle haben nicht immer ausgedient. Die Richtlinien der Diplomarbeit müssen allerdings dringend überarbeitet werden.
Was die klinischen Überprüfungen angeht wollen wir mehr – die Uni soll ruhig mal mehr von uns verlangen, wie etwa Ultraschallbasicskills und Abszessdrainagen. Um mehr klinische Skills schon während des Studiums zu erreichen, lernen und üben wir gerne mehr und nehmen auch höhere Anforderungen in Kauf. Mini-CEX und DOPS im sechsten Studienjahr, die sich vom Niveau her auf “Einzelknopfnaht”, “EKG” und “Venenpunktion” beschränken, sind uns einfach nicht genug, wenn drei Wochen danach von uns erwartet wird, halbwegs eigenverantwortlich Notfälle zu betreuen.
Wir wollen ein Studium, das es allen ermöglicht so zu lernen, wie sie es brauchen. Damit guter Lernerfolg und notwendiger Nebenerwerb kein Gegensatz sind. Wir wollen ein Studium, in dem es nicht darum geht die finanziellen und administrativen Aufwendungen für die Uni klein zu halten, sondern wo gelehrt und geprüft wird um Studierende groß zu machen.